Kinder leiden im Lockdown unter Einsamkeit

Das Leiden der Kinder im Corona-Lockdown

Die Pandemie hat spürbare Auswirkungen auf die Psyche vieler Menschen – für Kinder sind die Einschränkungen aber noch einmal besonders folgenreich. Davor warnen Mediziner auf der ganzen Welt.

Von Bianca Sommerfeld
am 14. Januar 2021
Thema: Kinderhilfe
einsamer Junge auf dem Spielplatz während des Lockdown
einsamer Junge auf dem Spielplatz während des Lockdown

Schul- und Kitaschließungen, keine Freunde zum Spielen und kein Besuch des Sportvereins dazu die spürbaren Sorgen und Ängste der Eltern – alle diese Aspekte haben Einfluss auf die empfindlichen Seelen der Kinder. Die Folgen sind nicht selten depressive Verstimmungen, in die die Kinder rutschen. Sie sind antriebs-, lust- und sogar mutlos. Sie haben weniger Energie und sind oft müde.

In einer forsa-Umfrage, die die Hilfsorganisation „Save the Children“ im ersten Lockdown im Frühjahr 2020 in Auftrag gegeben hat, wurde ermittelt, dass eine große Mehrheit der Kinder (85 %) es als Problem empfindet, ihre Freunde nicht mehr sehen zu können. Die Ungewissheit, wie lange die Krise und die Kontaktbeschränkungen noch dauern werden, belastete vor Ostern 60 % der Kinder, während 47 % der Mädchen und Jungen störte, dass sie nicht zur Schule gehen können. Mehr als ein Viertel der Kinder wussten laut der Umfrage nicht, was sie mit ihrer Zeit anfangen sollen (29 %) oder empfanden sich als "zu Hause eingesperrt" (26 %). Jedes zehnte Kind fühlte sich in der aktuellen Situation allein oder fühlte sich unwohl, mit der Familie auf so engem Raum zu sein.

Eine ebenso deutliche Sprache sprechen die Ergebnisse einer Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf aus dem Sommer 2020: Mehr als 70 Prozent der befragten Kinder und Jugendlichen fühlen sich demnach durch die Corona-Krise seelisch belastet. Stress, Angst und Depressionen haben zugenommen. Das Risiko für psychische Auffälligkeiten habe sich fast verdoppelt, heißt es in der Studie weiter. Die Kinder seien häufiger gereizt, hätten Einschlafprobleme und klagten über Kopf- und Bauchschmerzen.

Kinder ernähren sich im Lockdown schlechter

Jedes vierte Kind berichtete laut der Umfrage, dass es in der Familie häufiger zu Streit komme als vor der Corona-Krise. Die Eltern gaben das sogar noch häufiger an und erklärten, dass Streitigkeiten öfter eskalieren würden. Und noch ein Aspekt mit unabsehbaren Langzeitfolgen deckte die Studie auf: Die Kinder und Jugendliche gaben an, weniger auf ihre Gesundheit zu achten und mehr Süßigkeiten zu essen, weniger Sport zu machen und mehr Zeit am Handy oder vor dem Fernseher zu verbringen.

"Die abrupte Schließung der Einrichtungen und wochenlange Kontaktsperre zu Freunden und Erzieher*innen bedeutet einen unverstandenen und ggf. traumatischen Verlust von wichtigen Bindungspersonen", kritisierte die Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedizin in einer Stellungnahme. Viele Kinder und Familien würden nicht die psychische Widerstandskraft haben, um die Einschränkungen folgenlos zu überstehen.

Die Betreuung zu Hause ist in vielen Familien mit engen räumlichen Wohnverhältnissen und geringen Anregungen in der Tat sehr schwierig. Große Probleme haben auch die vielen alleinerziehenden Eltern – immerhin 22 Prozent aller Mütter und Väter. Die Belastungen wiegen in sozial schwachen Familien besonders schwer und vergrößern die Risiken für eine gute Entwicklung von Kindern. Das Risiko, dass Kinder Vernachlässigung und Gewalt erfahren, steigt während der Lockdown-Phasen auffallend an. Denn Kontroll-Instanzen wie Schulen und Kitas, das Jugendamt und andere Familien fallen derzeit komplett weg.

Die Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedizin e.V. fordert daher die Umsetzung folgender Punkte für das Kindeswohl:

  • Öffnung von Kinderspielplätzen, unter Verantwortung der Eltern
  • Wiederaufnahme des Schulbesuchs (unter Berücksichtigung von Hygienestandards) ggf.  alternativer Beschulungsmodelle – für alle Kinder und Jugendlichen zum nächstmöglichen Zeitpunkt.
  • flexible Ausnahmeregelungen und Unterstützungsangebote für Kinder und Jugendliche mit besonderen gesundheitlichen Risiken
  • Begleitung und Hilfe im Aufbau und Erhalt von inneren familiären Strukturen, die nicht zunehmend durch Medienkonsum bestimmt sein dürfen
  • gezielte Unterstützung von stationären Einrichtungen wie Kindernotdiensten, Wohngruppen, Heimen und Pflegeeinrichtungen sowie Asylbewerbereinrichtungen und Frauenhäusern, in denen Kindern mit besonderen Bedürfnissen leben, da sie nicht bei ihren Familien sein können
Kinder können im Lockdown depressiv werden
Kinder können im Lockdown depressiv werden

Derzeit ist noch unklar, wie lange die Beschränkungen des öffentlichen Lebens in Deutschland aufrechterhalten werden müssen. Im schlimmsten Fall dauert dieser Zustand noch mehrere Monate an. Das ist eine für die kindliche Entwicklung zu lange und zu wichtige Zeitdauer. Aber was ist die Lösung? Was können wir tun, damit kein Kind seelische Schäden aus der Pandemie trägt?

Wir Hilfsorganisationen haben nach unserem Verständnis die Verantwortung, die von uns betreuten Familien so oft wie möglich zu kontaktieren, um schnell auf Bedürfnisse reagieren zu können. Sind es finanzielle Probleme, die durch die Pandemie auftreten, kann materiell geholfen werden: Technik für die Kinder, um das Homeschooling bewältigen zu können. Lebensmittelspenden und Einkaufsgutscheine, um die Versorgung mit Lebensmitteln zu gewährleisten.

Kinder brauchen positive Erlebnisse im Lockdown
Kinder brauchen positive Erlebnisse im Lockdown

Um das Kind wenigstens kurzzeitig aus der häuslichen Umgebung herauszunehmen, ist es durchaus möglich, das Kind für eine 1:1-Betreuung zu einem Spaziergang, einer Fahrradtour oder einem gemeinsamen Einkauf einzuladen. Auch eine Hausaufgabenbetreuung in einem gut gelüfteten Raum, mit Abstand und mit Maske, sind absolut umsetzbar. Diese Maßnahmen dienen dazu, mit dem Kind ins Gespräch zu kommen, die Lebensgeister wieder zu wecken, Freude zu spenden und im Zweifel auch auf Notsituationen reagieren zu können.

Die psychischen Langzeitfolgen für Kinder aufgrund langer Lockdown-Phasen sind noch längst nicht im vollen Umfang absehbar. Sicher ist, dass viele Kinder schon jetzt leiden. Jetzt sind Aufmerksamkeit, Stärke und ganz viel Engagement gefragt, so viele Kinder wie möglich aus ihrem Tief zu holen, schöne Erlebnisse und Vorfreude zu schenken und damit die Lebensgeister und die Motivation zu wecken.

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