Eine ebenso deutliche Sprache sprechen die Ergebnisse einer Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf aus dem Sommer 2020: Mehr als 70 Prozent der befragten Kinder und Jugendlichen fühlen sich demnach durch die Corona-Krise seelisch belastet. Stress, Angst und Depressionen haben zugenommen. Das Risiko für psychische Auffälligkeiten habe sich fast verdoppelt, heißt es in der Studie weiter. Die Kinder seien häufiger gereizt, hätten Einschlafprobleme und klagten über Kopf- und Bauchschmerzen.
Jedes vierte Kind berichtete laut der Umfrage, dass es in der Familie häufiger zu Streit komme als vor der Corona-Krise. Die Eltern gaben das sogar noch häufiger an und erklärten, dass Streitigkeiten öfter eskalieren würden. Und noch ein Aspekt mit unabsehbaren Langzeitfolgen deckte die Studie auf: Die Kinder und Jugendliche gaben an, weniger auf ihre Gesundheit zu achten und mehr Süßigkeiten zu essen, weniger Sport zu machen und mehr Zeit am Handy oder vor dem Fernseher zu verbringen.
"Die abrupte Schließung der Einrichtungen und wochenlange Kontaktsperre zu Freunden und Erzieher*innen bedeutet einen unverstandenen und ggf. traumatischen Verlust von wichtigen Bindungspersonen", kritisierte die Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedizin in einer Stellungnahme. Viele Kinder und Familien würden nicht die psychische Widerstandskraft haben, um die Einschränkungen folgenlos zu überstehen.
Die Betreuung zu Hause ist in vielen Familien mit engen räumlichen Wohnverhältnissen und geringen Anregungen in der Tat sehr schwierig. Große Probleme haben auch die vielen alleinerziehenden Eltern – immerhin 22 Prozent aller Mütter und Väter. Die Belastungen wiegen in sozial schwachen Familien besonders schwer und vergrößern die Risiken für eine gute Entwicklung von Kindern. Das Risiko, dass Kinder Vernachlässigung und Gewalt erfahren, steigt während der Lockdown-Phasen auffallend an. Denn Kontroll-Instanzen wie Schulen und Kitas, das Jugendamt und andere Familien fallen derzeit komplett weg.
Die Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedizin e.V. fordert daher die Umsetzung folgender Punkte für das Kindeswohl:
- Öffnung von Kinderspielplätzen, unter Verantwortung der Eltern
- Wiederaufnahme des Schulbesuchs (unter Berücksichtigung von Hygienestandards) ggf. alternativer Beschulungsmodelle – für alle Kinder und Jugendlichen zum nächstmöglichen Zeitpunkt.
- flexible Ausnahmeregelungen und Unterstützungsangebote für Kinder und Jugendliche mit besonderen gesundheitlichen Risiken
- Begleitung und Hilfe im Aufbau und Erhalt von inneren familiären Strukturen, die nicht zunehmend durch Medienkonsum bestimmt sein dürfen
- gezielte Unterstützung von stationären Einrichtungen wie Kindernotdiensten, Wohngruppen, Heimen und Pflegeeinrichtungen sowie Asylbewerbereinrichtungen und Frauenhäusern, in denen Kindern mit besonderen Bedürfnissen leben, da sie nicht bei ihren Familien sein können